Mythos der Substanz


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Vorbemerkung: Substanzontologie und Substanzparadigma

Erschienen

Bearbeitet

Eine ontologische Analyse des Substanzbegriffes bei Johanna Seibt, Vortrag an der Universitรคt Leipzig im Juli 2006ย 

Vorbemerkung: Substanzontologie und Substanzparadigma

Johanna Seibt beginnt ihren Essay โ€œDer Mythos der Substanzโ€œ mit der These die Ontologie hรคtte im 20. Jahrhundert mittels Anwendung mathematischer und formal-logischer Darstellungsmittel einen paradigmatischen Umschwung erlebt. Die Vorzรผge seien laut ihr die einfachere Erfassung und Formulierung und die neuen Mรถglichkeiten einer Theoriebildung modaler Begriffe und kausaler oder temporaler Abhรคngigkeiten. Im gleichen Atemzug wirft sie aber auch die Frage auf, inwiefern diese โ€žunbezweifelbaren methodologischen Fortschritteโ€œ ein Abkapseln der zeitgenรถssischen analytischen Ontologie von den Traditionen des ontologischen Denkens erlaubt. Obwohl ein formaler Rahmen geschaffen wurde sei laut ihr die traditionelle Theorielandschaft nicht damit erweitert worden, da bestimmte Vorannahmen und Standartinterpretationen bereits als Wegweiser und Basis vorhanden sind und die Gegenwartsontologie somit dem โ€œSubstanzparadigmaโ€œ verhaftet bliebe. Ihr erklรคrtes Ziel sei es vorzustellen โ€ždass die Gegenwartsontologie dem Forschungsparadigma der substanzontologischen Tradition noch immer weitgehend verpflichtetโ€œ sei, sogar in den Bereichen wo sie den Substanzbegriff bereits รผberwunden geglaubt weiรŸ. Diese Art von Selbsttรคuschung bestimmter ontologischer Fraktionen liege auch in der schieren Menge an tiefliegenden Annahmen โ€ždie ein bestimmtes Vorverstรคndnis ontologischer Probleme erzeugen und den Spielraum zulรคssiger Lรถsungen beschrรคnkenโ€œ. Von der Beobachtung einiger spezieller Seinserklรคrungsstrategien (die solche Prรคsuppositionen weitgehend hinter sich gelassen zu haben scheinen) schlieรŸt sie auf die Mรถglichkeit jenseits des โ€œMythos der Substanzโ€œ zu guten Ergebnissen gelangen zu kรถnnen. Mit der Betonung, selbst eine hรถchst konstruktive Absicht in dem Unterfangen den behandelten Mythos mit einem alternativen Mythos bekรคmpfen zu wollen, geht sie darin รผber die Wirkungsweise des Mythos der Substanz und seiner Prinzipien vorzufรผhren mit dem bescheidenen Ziel Grundlagen fรผr eine neue Ontologie legen zu kรถnnen.
Beginnend mit dem Vorwurf, die analytische Ontologie wรคre aufgrund der Redevonโ€žsubstancesintheoldsenseโ€œ undโ€žthetraditionalnotionofsubstanceโ€œ einer letztendlich vereinfachenden Gleichsetzung von Substanz und Substrat aufgesessen, manifestiert sie ihren Punkt, es gรคbe bei der Breite der historischen Substanzontologien zwischen ihnen im Kern keinen gemeinsamen Punkt und keinen geschichtlichen Prototypen als solchen, wenngleich sich doch mittels Aristotelesโ€˜ multifunktionalem Begriff der ousia eine Brรผcke zwischen diesen schlagen lieรŸe. Dieser (ousia) lieรŸe sich nach Seibt wie folgt einteilen:
(1.) die primรคre Art zu sein
(2.) sortale Identitรคt, d.h. das was etwas ist
(3.) modale Identitรคt, d.h. das was etwas durch sich selbst essentiell ist
(4.) Persistenz
(5.) den Ort der Verรคnderung,
(6.) Individualitรคt
(7.) Partikularitรคt
(8.) Einzigartigkeit
(9.) den โ€žOrtโ€œ der Prรคdikation, d.h. die Eigenschaft des logischen Subjekts
(10.) Unabhรคngigkeit
(11.) Diskretheit
(12.) Einfachheit und schlieรŸlich
(13.) Einheit.
Um eine Sache erklรคren zu wollen kรถnne man sich aber unmรถglich nur einer Facette der ousia bedienen, weshalb historische Substanzbegriffe laut Seibt jeweils auf ausgewรคhlte Untermengen des aristotelischen Begriffs Augenmerk legen. Anhand der Erklรคrungsaufgaben und Strategien innerhalb der Geschichte der Substanzontologie, kรถnne man von einem weiten und einem engen Sinn dieser substanzbezogenen Ontologie sprechen. Die enge Sichtweise hielte eine Kategorie der โ€œSubstanzโ€œ bereit und spreche ihr bestimmte traditionelle Erklรคrungsmuster zu Substanzontologie im weiten Sinne sei โ€žjede Ontologie, die -unabhรคngig von den Etikettierungen der Basiskategorien zumindest einige der traditionellen Vorannahmen zur Verknรผpfung bestimmter Erklรคrungsaufgaben akzeptiert.โ€œ Die Geschichte der Ontologie hรคtte laut Seibt beinahe ausschlieรŸlich Strategien hervorgebracht, die bestimmte Vorannahmen innerhalb Demonstrationsaufgaben graduell und unkritisch รผbernimmt. Auch aufgrund der permanenten Vernachlรคssigung dynamischer oder sozialer Themata liegt es fรผr Seibt nahe โ€œSubstanzontologie im weiten Sinneโ€œ als โ€œSubstanzparadigmaโ€œ zu identifizieren anschlieรŸend fragt sie nach dem Problem des Ineinandergreifens der traditionellen Basis in die zeitgenรถssische Ontologie und nach den tatsรคchlichen Notwendigkeiten solcher Substanzannhamen (sind diese natรผrliche Denknotwendigkeiten oder lediglich historisch und geographisch zufรคllig erschienene?), nach der Zulรคssigkeit diese Konstellationen und der Berechtigung diese einen Mythos nennen zu dรผrfen. Leider beschrรคnkt sich Seibt nur auf den ersten Teilaspekt der Frage, nรคmlich dem aktuellen Amalgam von Substanzannahmen in der zeitgenรถssischen Ontologie.
Das โ€œIndividuationsproblemโ€œ: die numerische Identitรคt von Dingen?
Zu Beginn dieses Unterkapitels versucht Seibt die gegenwรคrtige Konzeption numerischer Identitรคt darzustellen: Hรคtten zwei Dinge die gleichen Merkmale, mรผรŸten sie auch identisch miteinander sein. Wie kann man zwei Dinge finden, die die gleichen suchnesses haben aber verschiedene thisnesses. Kรถnnen Dinge verschieden voneinander sein, ohne verschiedene Eigenschaften zu haben? Kann Verschiedenheit nur anhand verschiedener Eigenschaften festgemacht werden? Schon zu diesem Zeitpunkt merkt Seibt an, daรŸ die paraphrasierten Modelle nur auf Dinge und Objekte beschrรคnkt seien und zudem eine โ€œthisness of thisโ€œ also eine โ€œDiesheitโ€œ des โ€œDiesesโ€œ ohne jegliche Kritik oder Reflexion unterstellen wรผrden und stellt ein eigenes Interpretationsmodell der โ€œDiesheitโ€œ des โ€œDiesesโ€œ an:
(1.) Frage nach der numerischen Identitรคt oder Singularitรคt: Unter welchen Bedingungen sind die Referenten von zwei Namen numerisch Eines, d.h., unter welchen Bedingungen beziehen wir uns mit zwei Namen auf ein Objekt?
(2). Frage der Individualitรคt oder Selbigkeit: Wodurch unterscheiden sich Objekte? (3.) Frage der Partikularitรคt: Wodurch unterscheidet sich das Denotat von โ€œdiesโ€œ vom Denotat von โ€œsoโ€œ, d.h., von einer sogenannten universalen Entitรคt?
(4.) Frage der strukturellen Einheit: Unter welchen Bedingungen ist eine Entitรคt zรคhlbar?
(5.) Frage des logischen Subjektes: Wovon wird das Prรคdikat eines atomaren Satzes ausgesagt?
Anhand dieser Tabelle meint sie die anhaltende รœberlagerung in Bezug zur numerischen Identitรคt aufzeigen zu kรถnnen und nimmt anschlieรŸend Quine als Paradebeispiel heraus um die Gleichsetzung von Identitรคt mit der Relation der Selbigkeit zu verdeutlichen. Laut den von Seibt zitierten Quine-Passagen kรถnne man bei ihm eine Vermengung aller aufgemachten Frageperspektiven sehen: Nicht nur stelle er Identitรคt mit Selbigkeit gleich, sie erschรถpfe sich funktional in der Anzeige der Koreferenz von rein sprachlichen Ausdrรผcken und damit bei ihm stets auf partikulare und abzรคhlbare Entitรคten und auรŸerdem werde von Identitรคt gesagt sie sei als die Relation der numerischen Einheit zu betrachten. In der Vermengung aller von ihr aufgemachten Punkte der Tabelle oben und das Fehlen einer Rechtfertigung dafรผr sieht Seibt einen begrรผndeten Verdacht fรผr das Vorliegen unbegrรผndeter Vorannahmen. Nochmals verweist sie auch mithilfe von Zitaten auf die Fokussierung der Problematik auf rein objekt-ontologische Interpretationen und deutet dies als Dogma. Die Frage โ€žob ausschlieรŸlich zรคhlbare und partikulare Entitรคten logische Subjekte sein kรถnnenโ€œ und weitere wichtige Fragen kรถnnten laut Seibt nicht mehr vernรผnftig gestellt werden bzw. wรคren schon dogmatisch vorentschieden. Eine problematische Gleichsetzung sieht sie in folgenden zwei Punkten, die auch Erweiterung ihrer Tabelle sind:
(6). x ist dasselbe wie y
(7.) y ist ein F und y ist ein F und x und y sind numerisch Eines.
Anhand Punkt sieben macht sie die untergeschobene Vorportionierung im Denken mancher Theorien aus, da die unterstellten sortalen Entitรคten in Punkt sechs nicht nรถtig seien. Stoffterme, wie Wasser, Wein etc. ebenso wie Stile, Fertigkeiten, Talente seien nicht sortal. Somit seien abzรคhlbare Einheiten nicht die Voraussetzung fรผr die Mรถglichkeit eines Vergleichs zwischen Selbigkeit und Verschiedenheit. Diese Art der Schematisierung beruhe grรถรŸtenteils auf der โ€žaristotelischen Grundintuitionโ€œ in der ontologischen Untersuchung von dem Sein (belebter) Dinge auszugehen. Um der gezeigten ontologischen รœberlagerung (die sie anhand ihrer Tabelle aufgemacht hatte) ein stรคrkeres Fundament zu geben, erweitert Seibt ihre These von dem โ€žMythos der Substanzโ€œ um folgende โ€œCharakteristische Prรคsupposition des Substanzparadigmasโ€œ (CPS), die sie scheinbar in Zusammenhang mit der erwรคhnten aristotelischen Tradition sieht:
(CPS-1) Prinzip der Unabhรคngigkeit: Alle und nur Individuen sind unabhรคngig. (CPS-2) Prinzip der Partikularitรคt: Alle und nur Individuen sind konkrete Partikularien.
(CPS-3) Prinzip der Singularitรคt: Alle und nur Individuen sind einzelne Entitรคten kein Individuum ist eine Pluralitรคt.
(CPS-4) Prinzip des logischen Subjekts: Alle und nur Individuen sind logische Subjekte.
mit folgendem Zusatz:
(CPS-5) Prinzip der Kategorienbeschrรคnkung: Ontologische Strukturen bestehen aus (einfachen oder komplexen) partikularen Entitรคten und/oder (einfachen und komplexen) universalen (d.h. nicht-partikularen) Entitรคten.
Laut Seibt bedienen sich zwei zeitgenรถssische Strรถmungen der Definition aus Punkt fรผnf wobei sich diese bequem in Vertreter des โ€œSubstratmodellsโ€œ und auf โ€œBรผndelmodelltheoretikerโ€œ. Die ersteren behaupten es fรคnde bei der Rede รผber ein Ding eine Bezugnahme auf ontologische Strukturen statt โ€ždie einerseits die ontologischen Korrelate unserer Rede รผber Eigenschaften und Relationen des Dinges enthรคlt [โ€ฆ] und andererseits einen ontologischen Faktor [โ€ฆ], der die Individualitรคt, Partikularitรคt, Singularitรคt und Zรคhlbarkeit des Objekts erklรคrtโ€œ die letzteren beschrรคnken diese ontologischen Strukturen, โ€ždie lediglich ontologische Korrelate der Dingeigenschaften und -relationen enthรคltโ€œ und diese auf eine bestimmte Art und Weise Zusammenfassen. Seibt hรคlt das Substratmodell aufgrund seines Grundansatzes fรผr das intuitivste: Dies rรผhrt daher, daรŸ es einen sogenannten Wahrmacher gebe, auf den sich unterschiedliche Aussagen รผber die numerische Identitรคt eines Dinges bezรถgen und der notwendigerweise nicht mehrfach vorkรคme. Jedoch zeigen sich schon bei dem Versuch einer nรคheren Beschreibung dieser Wahrmacher ernste Probleme; Das Substrat eines Dinges, der die numerische Indentitรคt garantierende Konstituent mรผsse einerseits partikular sein (also nicht mehrfach vorkommend) aber auch andererseits logisches Subjekt der dem Ding zugeschriebenen Eigenschaften (laut CPS-2 und CPS-4). Folgerichtig geht Seibt dazu รผber die Konstituenten selbst auf Unabhรคngigkeit hin zu untersuchen, wobei sie feststellt, daรŸ diese โ€œnackten Substrateโ€œ selbst keine Beschaffenheiten haben und frei jeglicher Attribute existieren mรผรŸten. Hat man soweit jedoch diese รœberlegung mitgedacht, lรครŸt es sich auch nicht von der Hand weisen, daรŸ solche als โ€œnacktโ€œ betitelten Substrate ja gerade aufgrund ihrer Losgelรถstheit keinerlei Attribute exemplifizieren und auch keine Subjektfunktion erfรผllen kรถnnten. LieรŸe man an Substraten selbst einige Attribute zu so verfinge man sich unweigerlich in einem nichtssagenden RegreรŸ. An diesem Punkt widmet sich Seibt einem alternativen Erklรคrungsmuster zu das die Idee โ€œnackter Substrateโ€œ nicht aufgibt sondern nur die Subjektfunktion von Substraten in einem anderen Licht sehen mรถchte. Jedoch fรผhren bei Seibt solche รœberlegungen de facto wieder nur zu Tautologien der Form, daรŸ auf die Frage was ein Ding individuiert, nur unbefriedigend(?) geantwortet werden kรถnne, eben das was es individuiert. Entgegen der als klassisch gewerteten Individualitรคtstherorien empfiehlt Seibt als Alternative das sogenannte Bรผndelmodell, das sie auf dem Leipnizschen โ€œPrinzip der Identitรคt der Ununterscheidbarenโ€œ (PIU) fuรŸen lรครŸt. Das PIU-Prinzip besage kurz gefaรŸt: Die Selbigkeit von Dingen liege in der Selbigkeit ihrer Eigenschaften. In gewohnter stilistischer Art unterscheidet Seibt dieses System in zwei Unterkategorien; PIU-1 besage daรŸ der Unterschied โ€œsolo numeroโ€œ kein taugliches Konzept zur Unterscheidbarmachung sei und daรŸ โ€žder Begriff der Selbigkeit fundamental qualitativโ€œ sei. Mit PIU-2 mรถchte sie darauf hinweisen, daรŸ zwei Dinge eben auch mindestens eine Eigenschaft haben mรผssen die sie voneinander unterscheidet, die sie nicht (einfach nur) teilen. AnlรครŸlich der Eigenschaft von PIU-2 das laut Seibt unterschiedslose Pluralitรคten ausschlieรŸt (entgegengesetzt zu PIU-1) erweist sie diesem Prinzip hรถherer Streitbarkeit und versteht es auch als das eigentliche Prinzip das diskursiv als (generelles) PIU tituliert wird. Die verallgemeinernde Annahme, Individualitรคt sei auch gleichzeitig (abzรคhlbare) Singularitรคt sei laut Seibt ein mehr als deutliches Indiz fรผr vorfindbare substanzontologische Vorannahmen die zu PIU-2 fรผhrten. Als gemeinsames Ziel einer โ€œBรผndeltheorie des Objektsโ€œ stehe der Beweis von PIU-2, den sie wie folgt ausformuliert (Beweis von PIU-2): โ€žZeige, daรŸ die Pluralitรคt von Dingen notwendigerweise einen Unterschied in ihren Beschaffenheiten impliziert.โ€œ Desweiteren fordert sie, daรŸ die Konstituenten die ein Ding innerhalb der Bรผndeltheorie erklรคren ebenfalls die intuitiven Merkmale der โ€œDinghaftigkeitโ€œ erfassen (Auszeichnung von Dingbรผndeln): โ€žDefiniere eine Relation, in der die ontologischen Korrelate der Beschaffenheiten eines Dinges zu stehen haben und zeige dass diese โ€œBรผndelrelationโ€œ die innere Einheit und รคuรŸere Unabhรคngigkeit eines Dinges gewรคhrleistet.โ€œ AnschlieรŸend fรผgt sie noch eine weitere Forderung hinzu, die nach der โ€œAkzidentielle[n] Prรคdikationโ€œ fragt: โ€žDefiniere die Bรผndelrelation so, daรŸ ein Ding mindestens einige seiner Beschaffenheiten kontingenterweise hat.โ€œ ZusammengefaรŸt wรผrden sich laut Seibt drei Forderungen herauskristallisieren, die als Hauptaufgaben von Gegnern und Befรผrwortern einer Bรผndeltheorie geklรคrt werden mรผรŸten: Erstens die Gleichsetzung von Individualitรคt und Singularitรคt zu klรคren, zweitens mรผรŸten die Attribute eines Dinges auch tatsรคchlich โ€œDingcharakterโ€œ haben, sich nicht wiedersprechen und das Ding in eine รคuรŸere Ding-Unabhรคngigkeit stellen und drittens deutet Seibt an, daรŸ zumindest ein Merkmal eines Dinges dem Zufall zugesprochen werden kรถnnen soll. An diesem Punkt angekommen verweist Seibt erneut auf die Ding-Fokussierung solcher Theorien die vorher bereits angedeutet Facetten von Individualitรคt ausblendet und innerhalb der Schemata CPS-1bis CPS-4 agiert. CPS-5 sei ohnehin problematisch da es eine Entweder-Oder-Option zur โ€œFรผllungโ€œ des Bรผndels vorschlรคgt daher sieht Seibt beide Optionen, weder universale Attribute noch partikulare Tropen, radikal im Konflikt mit den oben aufgestellten drei Hauptaufgaben der Bรผndeltheorie.
Das โ€œPersistenzproblemโ€œ: Verhรคltnis der zeitlichen Zustรคnde von Dingen?
In der von Seibt systematisch immer wieder vorgenommenen selbstoktroyierten โ€žBeschrรคnkung des theoretischen Spielraumsโ€œ geht sie schlieรŸlich auf die fรผr uns in diesem Zusammenhang wichtige Frage ein, wie ein Objekt durch die Zeit hindurch bestรคndig sein kann. Laut Seibt gleitet die Rede von dem zunรคchst neutralen Terminus โ€œObjektโ€œ in Zusammenhang mit Persistenz und Zeit immer wieder in die Kategorie der Substanz ab, wie sie anhand verschiedener Zitate zu belegen versucht. Ihr zufolge erschwerten solche substanzontologischen Prรคmissen die Auseinandersetzung mit einer Persistenztheorie nur unnรถtig. Drei Erklรคrungsaufgaben stellt sie der Persistenzontologie: Erstens mรผsse sie die Entitรคten auszeichnen die sich verรคndern, zweitens mรผsse sie die ontologische Struktur des โ€œVerรคnderndenโ€œ (dessen was sich verรคndert) bestimmen und drittens mรผsse sie die Struktur der Verรคnderung selbst erklรคren. Da Dinge als auch Farben, Tรถne, Empfindungen durch Zeit und Verรคnderung hindurch bestรผnden und zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Eigenschaften zugesprochen bekommen kรถnnten, erschwere dies den Skopus der zeitgenรถssischen Persistenzdebatte. Diese beschrรคnke den ersten Punkt, behandele den zweiten, drรคnge aber den dritten einfach unbehandelt an den Rand (Bezug auf das Zitat von Haslanger, S. 214). Seibt zieht an dieser Stelle erneut eine Parallele zu der Debatte um die numerische Indentitรคt und prangert regelmรครŸig die โ€žBereichsbeschrรคnkungaufdieKategoriederDings[sic?]โ€œ an. Eine Erweiterung ihres CPS-Systems um zwei weitere Punkte findet Seibt anschlieรŸend in der Behauptung, die populรคre ontologische Meinung lieรŸe sich auf Aristotelesโ€˜ โ€œontologische Entscheidungโ€œ zurรผckfรผhren die die Verรคnderung eines Dings in der Differenz des Ausgangsund Endzustandes messen wรผrde.
(CPS-6) Zustandsmodell der Verรคnderung: Verรคnderung ist โ€œWechselโ€œ von Eigenschaften)
(CPS-7) Prinzip der Konstanz des Subjektes: (Der โ€œOrtโ€œ der Verรคnderung ist das logische Subjekt)
Ausgehend von diesen Erweiterungen und den schon vorher intendierten Bezรผgen zur Individuationsdebatte schlieรŸt Seibt darauf, daรŸ Peristenz โ€žeinerseits als numerische Identitรคt in transtemporalen Vergleichen verstandenโ€œ wird aber andererseits mithilfe der Relativitรคtstheorie Dinge als nicht nur rรคumliche sondern auch zeitliche Punktereignisse aufgefaรŸt werden kรถnnten. Mark Johnstons Unterteilung in โ€œenduranceโ€œ und โ€œperduranceโ€œ folgend (siehe auch die weitere Unterteilung in โ€œcontinuantsโ€œ und โ€œoccurentsโ€œ auf S. 216) geht Seibt darin รผber die fundamentale Inkohรคrenz des Endurancemodells (und nachfolgend des Perdurancemodells) aufzuzeigen.
Die Inkohรคrenz des Endurance-Modells
Durch die Kombination des Leibnizischen PUI (Prinzip der Ununterscheidbarkeit der Identischen) und der Grundthese des Endurance-Modells (also wenn ein Ding zu allen existierenden Zeiten 100% prรคsent sei) ergรคbe sich ein Puzzle das Seibt anhand ihrer CPS-Modelle zu erlรคutern versucht. Damit das gelingt rollt sie die letzten Punkte ihres CPS-Modells auf (CPS-6 und CPS-7) und erweitert es erneut um einen Punkt:
(CPS-8) Prinzip der Konstanz der Identitรคt: Die numerische Identitรคt einer Entitรคt verรคndert sich nicht รผber die Zeit hin; โ€œist identisch mitโ€œ ist kein zeit-indizierendes Prรคdikat.
AnschlieรŸend fรผgt sie noch eine verkรผrzte Form des PUI an:
PUI: Wenn der Referent von โ€œxโ€œ mit dem Referenten von โ€œyโ€œ identisch ist, dann treffen auf den Referenten von โ€œxโ€œ genau die Eigenschaften zu, die auf den Referenten von โ€œyโ€œ zutreffen.
Nun ist ein Ausspielen von CPS-6, demzufolge ein Ding zu zwei Zeitpunkten unterschiedliche Eigenschaften (womรถglich sogar sich widersprechende) hรคtte, mit dem von ihr formulierten PUI leicht mรถglich, da es ja genau die selben Eigenschaften haben mรผรŸte um identisch zu sein. Um jedoch das Endurance-Modell doch noch wรผrdig retten zu kรถnnen schlรคgt Seibt vier Mรถglichkeiten vor diesen Wiederspruch zu entschรคrfen bevor sie sich das Perdurance-Modell vorknรถpft (Ausfรผhrungen auf S. 217 ff):
CPS-7 aufgeben
Die Identitรคt findet nur zu einem bestimmten Zeitpunkt statt.
Vergleich nur โ€œessentiellerโ€œ Eigenschaften eines Dinges.
Modifikation mittels Zusatzbestimmungen.
Zum letzten Punkt liefert Seibt eine sechsstellige Tabelle mit Konkretisierungen des temporalen Index, also wann zu einem Zeitpunkt t F gilt und wie man das aus einer sechsteiligen Perspektive betrachten kรถnnte. Jedoch gibt sich Seibt nur mit der ersten Perspektive ab, da sie paradigmatisch fรผr die Probleme aller anderen stehe. Aus dieser Perspektive kรถnne man behaupten alle Dinge kรถnnten โ€œstets alle (frรผheren, gegenwรคrtigen und zukรผnftigen) Eigenschaften exemplifizierenโ€œ und seien somit โ€žwholly present at every moment of their existenceโ€œ. Um ein System mit mindestens zwei vergleichbaren (Zeit-)Zustรคnden zu erhalten (damit eine Vergleichbarkeit von t1 zu t2 mรถglich ist) nimmt man den zukรผnftigen Zustand ja bereits vorweg und unterstellt seine Existenz zu einem bestimmten zukรผnftigen Indexpunkt. Allerdings ergeben sich weitere Paradoxien in dieser Hinsicht wenn z.B. ein Ding sich durch die Zeit hin verรคndert aber in einem Vergleichszustand t2wieder die Eigenschaften vont1 annimmt gรคbe es in diesem Fall eine Verรคnderung gemรครŸ der Vorgehensweise die Differenz der Eigenschaften eines Dinges zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten zu bestimmen? Das Dilemma laut Seibt bestรผnde darin, daรŸ entweder Persistenz nicht als Identitรคt aufgefaรŸt werden kรถnne oder eine alternative Analyse das Phรคnomen erst gar nicht mehr faรŸbar machen kรถnne.
Schwierigkeiten des Perdurance-Modells
Das Perdurance-Modell bereitet Seibt deshalb Schwierigkeiten, weil es vorschlรคgt sich verรคndernde Entitรคten zu verschiedenen Zeitpunkten dennoch als eine Subjekteinheit aufzufassen; Es ginge um die Komposition, die Zusammensetzung eines Dinges als โ€žeine Vielheit von โ€œdingartigenโ€œ Teilen, d.h. von Stรผcken. Ein peristentes Ding ist ein ein Komplex zeitlicher Bestandteile (Phasen, Stadien) so wie ein Tisch oder Haus ein Komplex rรคumlicher Bestandteile istโ€œ In diesem Sinne behindern sich die einzelnen Stadien nicht, sondern รผberlagern sich, reihen sich aneinander an etc. Ein Ding sei lapidar gesagt die maximale Zusammensetzung von Schichten, Reihen und so weiter. Um diesem Punkt gerecht zu werden fรผgt Seibt einen neunten Punkt zu ihrem CPS-System hinzu:
(CPS-9) Prinzip der Bestimmtheit (S. 221)
Das zu beschreibende Individuum kรถnne nicht vollstรคndig erfaรŸt werden, solange der Beschreibende nie alle Aspekte voll beschreiben kann. Es steht nicht in den praktischen Mรถglichkeiten eines Beschreibers eine lรผckenlose und prรคzise Totalitรคt von Merkmalen einer Entitรคt aufzugeben. Das konkrete Problem liege darin, daรŸ โ€žPerdurance-Theoretiker [โ€ฆ] an der Prรคmisse (CPS-7) fest[halten], derzufolge das logische Subjekt von Verรคnderungsbeschreibungen auch der Ort der Verรคnderung ist, d.h. die Entitรคt, die durch die Verรคnderung hindurch persistiert.โ€œ Nochmal anders: Name man einen bestimmten Zeitpunkt aus der Existenz eines Dinges heraus, wie kann man dann von einem โ€œZusammensetzung der maximalen Mengeโ€œ sprechen und andererseits wie kann man annehmen, daรŸ zeitliche Teile (also der โ€œextrahierte Punktโ€œ den man zur Bestimmung brรคuchte) selbst eine zeitliche Erstreckung haben und wozu fรผhrt eine solche Annahme? Das Ding selbst kann laut Seibt nicht selbst hergenommen werden um seine Existenz zu beschreiben; Die primรคre Frage richtet sich nach dem ganzen Seins-Komplex des Dinges und aller seiner Einzelteile in einem holotropen Gesamten. Wenn man ganz genau auf Seibt hรถrt, mรผรŸten folgende Bedingungen fรผr eine solche Sichtweise erfรผllt werden:
Der Speziesbegriff des Dinges mรผsse an allen Zeitpunkten dem Ding zugeschrieben werden kรถnnen. Einwand: Dies sei mรถglicherweise unerfรผllbar.
Alle Teile des Dings mรผรŸten raum-zeitlich kontinuierlich angeordnet sein. Einwand: Nicht allgemein notwendig z.B. Dinge die zum transport temporรคr zerteilt werden.
Und sie mรผรŸten kausal verbunden sein. Einwand: Sei nur unter Zugrundelegung des Humeschen Regularitรคtsverstรคndnisses der Kausalrelation sinnvoll.
Jenseits des Mythos der Substanz
Wie Seibt schon zu Beginn ihres Essays deutlich machte, verfolgte sie das Ziel auf die substanzontologische Tradition aufmerksam zu machen und die รœbernahmen solcher Dogmen oder Mythen in die Denkweisen der zeitgenรถssischen Ontologie zu zeigen. Hinter oder besser gesagt vor dieser unreflektierten รœbernahme lรคgen ganz neue Pfade der substanzontologischen Theoriebildung, z.B. die von Seibt propagierte โ€œTheorie der generellen Prozesseโ€œ die als ein Selbstaktualisieren der Dinge in ihrer Existenz aufgefaรŸt werden kรถnne. Es fรคnde ein stetes Verรคndern statt das als subjektlos betrachtet werden kรถnne. โ€žSo wie es schneit, dรคmmert, schmerzt, geht auch das โ€œMensch-Seinโ€œ oder โ€œMax-Seinโ€œ trรคgerlos vor sichโ€œ. Seibt ist sich bewuรŸt solche Aktivitรคten nicht vollkommen beschreiben zu kรถnnen (contra CPS9), und sie nicht spezifizieren zu mรผssen und sie mรถglicherweise als periodisch wiederkehrend (und auch als gleich/ununterscheidbar) zu sehen (contra CPS-1 bis CPS3). Mit dem Verweis auf die traditionellen Einschrรคnkung der Substanzontologie auf Dinge und ihrem eigenen gegenlรคufigen Programm (diese Einschrรคnkung als Mythos zu begreifen und aufzulรถsen) stellt sich Seibt als Teil einer entmystifizierten TheorethikerInnenfront dar die sich auf einen rein pragmatischen Pluralismus beziehe.

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